Beschäftigte, die interne Missstände oft als erste wahrnehmen und darüber berichten, sind unerlässlich, um Rechtsverstöße und Missstände in Unternehmen aufzudecken, diese zu beenden und zu verfolgen. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber[1] setzen sich enormen Risiken aus und müssen deshalb vor Benachteiligungen geschützt werden, die ihnen wegen ihrer Meldungen drohen. Das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz, das am 2. Juli 2023 in Kraft tritt, soll den bisher lückenhaften und unzureichenden Schutz von hinweisgebenden Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ausbauen.[2] Damit wurde die EU-Whistleblower-Richtlinie (EU) 2019/1937 jetzt endlich auch in deutsches Recht umgesetzt.
Wer ist geschützt?
Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) zielt auf den Schutz von Personen ab, die innerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an eine Meldestelle weitergeben.[3] Unternehmen mit mehr als 249 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müssen nach Inkrafttreten einen Hinweisgeberschutz implementieren, das heißt interne Meldesysteme einrichten. Ansonsten drohen ein Bußgeld und das Bekanntwerden von kritischen unternehmensinternen Informationen durch Mitarbeitende des Unternehmens. Vorgesehen im Hinweisgeberschutzgesetz ist eine stufenweise Ausweitung der Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgeberschutz-Systems. Ab dem 17. Dezember 2023 ist dieses auch in Unternehmen ab 50 Beschäftigten einzurichten.[4] Das Gesetz verbietet zum Schutz von Whistleblowern Repressalien wie Abmahnung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarverfahren oder Mobbing gegenüber Hinweisgebern. In Deutschland war der Hinweisgeberschutz bislang vor allem durch die Rechtsprechung geprägt. Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) dienten vorrangig als Orientierung für Zivil- und Arbeitsgerichte. Für Whistleblower existierte nur unzureichender Schutz, wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stellen meldeten. Wenn diese in der Vergangenheit Missstände meldeten, entstanden für sie immer wieder Nachteile.
Warum hat es so lange gebraucht bis Deutschland ein Gesetz verabschiedete?
Das HinSchG musste einige Anläufe nehmen. Bereits im Oktober 2019 trat in der Europäischen Union die Whistleblowerschutz-Richtlinie in Kraft, die eigentlich bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Der Bundesrat lehnte den ursprünglichen Gesetzesentwurf am 10. Februar 2023 jedoch ab. Die Unionsvertreter stützten ihre Ablehnung insbesondere auf eine zu starke Belastung kleiner und mittlerer Unternehmen. Die größten Streitpunkte für die Länder waren, das Gesetz über die Vorgaben der EU hinaus auf das deutsche Recht auszuweiten und eine damit einhergehende Mehrbelastung deutscher Unternehmen während der Pandemie. Es wurde gefordert, das deutsche Gesetz auf die Vorgaben der EU-Whistleblowing-Richtlinie zu beschränken. Andere Stimmen[5] halten entgegen, dass, decke ein Whistleblower vielseitigen Betrug auf, wie beispielsweise im Fall Wirecard, würde dieser nach EU-Recht nicht vor Repressalien geschützt sein. Dasselbe würde bei Verstößen gegen Straftatbestände wie Korruption oder Steuerhinterziehung gelten.
Bemängelt wurde ebenfalls das Fehlen an Anreizen für Whistleblower, sich zuerst um die interne Klärung des Sachverhalts zu bemühen.[6]
Der Bundestag hat nun mit Zustimmung des Bundesrates am 12. Mai 2023 den neuen Entwurf des Gesetzes beschlossen.
Unterschied Deutschland-Frankreich in der Umsetzung
Während der Schutz von Hinweisgebern mit Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in Deutschland jetzt bereits zwei Jahre zu spät kommt, ist das sog." Waserman-Gesetz " welches den bereits seit 2016 bestehenden Schutz der Hinweisgebenden verstärkt in Frankreich bereits seit März 2022 verabschiedet und mit Veröffentlichung des Umsetzungsdekretes seit Oktober 2022 in Kraft.
Das Gesetz vom 21. März 2022 zur Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern stärkt den Schutz von Whistleblowern, der im sogenannten „Sapin II“-Gesetz von 2016 verankert wurde. Es setzt die Richtlinie vom 23. Oktober 2019 über den Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, um und geht dabei sogar über die EU-Bestimmungen hinaus.
Nachfolgend werden die Besonderheiten und Unterschiede der Umsetzung der beiden Länder näher beleuchtet.
Einen streitigen Punkt stellt die Frage dar, ob ein Whistleblower strafrechtlich belangt werden kann. In Deutschland gilt der Grundsatz des Ausschlusses der Verantwortlichkeit gemäß § 35 I HinSchG[7]. Demnach kann eine hinweisgebende Person nicht für die Beschaffung von Informationen, die sie gemeldet oder offengelegt hat, rechtlich verantwortlich gemacht werden.
Es existiert allerdings eine Einschränkung.Der Arbeitnehmer darf sich die gemeldeten Informationen nicht durch eine eigenständige Straftat beschafft haben, § 35 I HinSchG. Dies führt zu einer bedeutenden Einschränkung des Schutzes von Hinweisgebenden. Der Whistleblower darf nur melden, was er bereits weiß, aber keine Nachforschungen anstellen, das heißt beispielsweise sich Kenntnis von Daten verschaffen, die für ihn verschlossen sind, vgl. § 202 a StGB.[8]
In Frankreich wird die Unverantwortlichkeit von Whistleblowern aufgrund ihrer Meldung von Missständen ausgeweitet. Gemäß Art. 6 des Loi n° 2022-401[9] kann der Whistleblower weder zivilrechtlich für den Schaden belangt werden, den er durch seine Meldung in gutem Glauben verursacht hat, noch strafrechtlich für das Abfangen und Mitnehmen von vertraulichen Dokumenten, die mit seiner Meldung in Zusammenhang stehen und Informationen enthalten, zu denen er rechtmäßig Zugang hatte.[10]
Eine weitere Besonderheit in Deutschland stellt das Vertraulichkeitsgebot in § 8 HinSchG[11] dar. Hinweisgeber und die in der Meldung genannten Personen im Unternehmen sind vertraulich zu behandeln. Das HinSchG regelt die Verpflichtung, über Meldekanälen zu verfügen, die so sicher konzipiert und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt bleibt und unbefugten Mitarbeitenden kein Zugang darauf eingeräumt wird.
Ausnahmen gelten allerdings, etwa erstreckt sich der Schutz der Vertraulichkeit nicht auf die Identität einer Person, welche vorsätzlich oder grob fahrlässig eine falsche Information meldet.
Unternehmen müssen somit die Identität der Hinweisgebenden schützen und DSGVO-Vorgaben einhalten.
Im Hinblick auf Frankreich stärkt das Gesetz die Vertraulichkeitsgarantien, die eine Meldung umgeben und ergänzt die Liste der verbotenen Vergeltungsmaßnahmen wie etwa Einschüchterung und Rufschädigung, um Warnungen zu erleichtern. In Fällen anonymer öffentlicher Meldungen oder Veröffentlichungen ermöglichte die Änderung, dass Personen, deren Identität aufgedeckt wurde, den Status eines Whistleblowers erhalten können. Mit dieser Änderung wurde im Einklang mit der Richtlinie von 2019 der Quellenschutz gestärkt[12].
Zu einer Besonderheit im französischen Gesetz zählt die Begrenzung der teilweise erheblichen finanziellen Kosten der Verfahren, die Whistleblower anstrengen müssen. Gemäß Art. 6 des Loi n° 2022-401 kann der Richter zu Beginn des Verfahrens einem Whistleblower, der eine Vergeltungsmaßnahme gegen ihn anfechtet, einen Vorschuss für die Prozesskosten gewähren. Außerdem kann dieser, die Vorschüsse jederzeit endgültig festzulegen, d. h. auch dann, wenn der Whistleblower seinen Prozess verliert. Schließlich können Whistleblower psychologische und finanzielle Unterstützungsmaßnahmen durch externe Behörden in Anspruch nehmen, unabhängig davon, ob diese direkt oder über den Rechtsverteidiger eingeschaltet wurden.[13] Solche Unterstützungsmaßnahmen sind hingegen im deutschen Gesetz nicht zu finden.
Es bleibt festzuhalten, dass in Frankreich die EU-Whistleblower-Richtlinie und der dahingehende Schutz hinweisgebender Personen deutlich früher umgesetzt wurde und dieser über die EU-Bestimmungen hinausgeht.
Das Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland stellt eine längst überfällige Umsetzung der Richtlinie und damit des Schutzes von Whistleblowern dar. Grundsätzlich haben beide Länder vergleichbare Maßnahmen getroffen, jedoch sieht Frankreich verstärkte Schutzmaßnahmen insbesondere hinsichtlich psychologischer und finanzieller Unterstützungsmaßnahmen vor.
Cabinet ELAGE schult auf englisch, französischer und deutscher Sprache betriebsintern zur Handhabung der neuen Gesetze mit einem Schwerpunkt auf der Rolle und den Erwartungen, die den internen Compliance Officern innerhalb der Beschwerdeverfahrens zukommen.
Wir sind regelmäßig mit betriebsinternen Untersuchungen im Bereich von Mobbing, Diskriminierung und sexualisiertet Gewalt am Arbeitsplatz betraut, die durch Hinweisgebenden im Unternehmen initiiert werden.
Wir danken unserer Rechtspraktikantin Nora Böhm für Ihre Recherchen und Ihren Beitrag zu diesem Artikel.
[1] Das Gesetz benutzt die nicht inklusive Form, gemeint sind Hinweisgebende
[2] https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinweisgeberschutz.html
[3]https://www.roedl.de/themen/referentenentwurf-beschlossen-hinweisgeberschutz-whistleblowing-2022
[4]https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/gesetzentwurf-whistleblowing-kabinett-hinweisgeber-unternehmen-behoerden-kanzleien-kuendigung-schutz-eu-compliance-reaktionen/
[5] Argument der SPD über https://www.integrityline.com/de/knowhow/blog/hinweisgeberschutzgesetz/
[6]https://www.integrityline.com/de/knowhow/blog/hinweisgeberschutzgesetz/#:~:text=Unternehmen%20ab%20250%20Beschäftigten%20müssen,%2DWhistleblower%2DRichtlinie%2C%20verabschiedet
[7]https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fges%2Fhinschg%2Fcont%2Fhinschg.p35.htm&anchor=Y-100-G-HINSCHG-P-35
[8] https://beck-online.beck.de/Dokument?vpath=bibdata%2Fzeits%2Fnza-beil%2F2022%2Fcont%2Fnza-beil.2022.20.1.htm&pos=1&hlwords=on (Bayreuther: Whistleblowing und das neue HinSchG, NZA-Beilage 2022,20)
[9] https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/id/JORFTEXT000045388745
[10] https://www.service-public.fr/particuliers/vosdroits/F32031
[11] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2023/140/VO
[12]https://www.vie-publique.fr/loi/282472-loi-21-mars-2022-waserman-protection-des-lanceurs-dalerte
[13]https://www.vie-publique.fr/loi/282472-loi-21-mars-2022-waserman-protection-des-lanceurs-dalerte
Comments