Am 25. Januar, in Frankreich von nun an der nationale Tag gegen den Sexismus, wurde dem Sexismus in Paris dieses Jahr der Prozess gemacht. Zahlreiche Opfer befanden sich unter den Zuschauenden, fast 1000 verfolgten den Prozess vor Ort im Auditorium der 20 Avenue de Ségur und online. Das Urteil war eindeutig: Ja, der Sexismus tötet Talent, Kreativität und Lust. Nein, Männer engagieren sich nicht ausreichend gegen den Sexismus. Und ja, öffentliche Einrichtungen könnten gegen den Sexismus kämpfen, aber nein, sie tun es nicht (genug)
Organisiert wurde die Veranstaltung vom Kollektiv Ensemble contre le Sexisme. RichterInnen, StaatsanwältInnen, VerteidigerInnen und ZeugInnen wurden von Mitgliedern des Kollektivs, von Schauspielerinnen und Expertinnen dargestellt.
In der ersten Gerichtssitzung wurde untersucht, ob der Sexismus Talent, Kreativität und Lust tötet. Die ersten Zeuginnen, eine Schauspielerin und eine Theaterspezialistin, sagten aus. Nur eine von zehn RegisseurInnen ist weiblich, der Redeanteil von Frauen in Filmen ist zweimal geringer als der von Männern. Viele Vergewaltigungen in Filmen sind reale Vergewaltigungen beim Dreh, da Frauen dem Druck, Sexszenen zu spielen, um eine Rolle zu bekommen, oft nicht standhalten. Ein Animateur de Prévention, der an Schulen für Aufklärung und Prävention arbeitet, zeugt von Aussagen wie „Du gehörst einmal vergewaltigt.“ aus dem Munde von Viertklässlern. Dies sind nur einige von vielen im Prozess gefundenen Indizien und Beweisen für den Sexismus in diversen Facetten des Alltags von Frauen und Mädchen in Frankreich.
In einer zweiten Sitzung ging es um das Engagement der Männer gegen Sexismus. Gehört wurde u.a. die Historikerin Lucile Peytavin, Autorin von „Die Kosten der Virilität – was Frankreich sparen würde, wenn Männer sich wie Frauen verhalten würden.“ Ihr Ergebnis: Eine Menge, denn die Gefängnisse sind voll mit Männern. Dabei ist Gewalttätigkeit nichts Naturgegebenes, sondern anerzogen. Die Anwältin im Familien- und Strafrecht Sophie Soubiran erklärt, warum in drei von vier Fällen vor Gericht die Mutter das alleinige Sorgerecht erhält: Man erhält in der Justiz nichts, was man nicht aktiv einfordert. In den allermeisten Fällen wird der Mutter das Sorgerecht im allseitigen Einverständnis zugesprochen.
Schließlich wurden in einer dritten Sitzung die öffentlichen Institutionen unter die Lupe genommen. Lange galt der Staat („la fonction publique“) als bester Arbeitgeber für Frauen. Mittlerweile ist die Arbeitsbelastung jedoch nah dran an der im privaten Sektor. Auch mögen zwar an der Basis überwiegend Frauen die Arbeitnehmerinnen sein (64%), dies sieht jedoch drastisch anders aus in den Führungsebenen (37%), wo immer noch die Männer dominieren.
Sämtliche Zeugenaussagen, in diesem Artikel nur exemplarisch dargestellt, wurden von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gewürdigt. Während die Staatsanwältinnen für schuldig plädierten, hielten die Verteidigerinnen die altbekannten Argumente dagegen: Der Sexismus sei naturgegeben, in den Genen verankert, biologisch zu erklären sowie zudem gut und richtig. Die Männer machen die Produktion, Frauen die Reproduktion. Eine sinnvolle Aufteilung, jeder was er am besten kann.
Die vier Stunden, die der Prozess dauerte, waren kurzweilig und unterhaltsam, gleichzeitig dürfte aber auch der/die Letzte aufgerüttelt worden sein: Wir sind weit davon entfernt, in einer Welt ohne Sexismus zu leben. Teilnehmende verliessen den Saal mit einer Mischung aus Wut, Ohnmacht, Fassungslosigkeit und Traurigkeit angesichts der Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen und Mädchen; gleichzeitig gab es Hoffnung, dass immer mehr Menschen sich des riesigen Problems bewusst werden, sich engagieren und zur Veränderung der Gesellschaft beitragen. So wie Bolewa Sabourin, Tänzer, Choreograf und Moderator des Kollektivs der Maskulinität, der einen geschützten Raum für Männer schafft zum Reflektieren und Hinterfragen, um dadurch wegzukommen von alten Stereotypen. Denn der Sexismus ist nichts Naturgegebenes, sondern ein soziales Konstrukt, das man in der Folge auch wieder dekonstruieren kann.
Cabinet ELAGE trägt unter anderem mit seinen Präventionsschulungen in europäischen und internationalen Unternehmen, der frz. Verwaltung und dt./frz. Universitäten einen Teil dazu bei, Sexismus zu erkennen und zu benennen, Opfer rechtlich und tatsächlich zu schützen, TäterInnen zu stoppen und Strukturen zu verändern.
Beobachtet wurde der Prozess von Hanna Müller, derzeit Rechtsreferendarin im Cabinet ELAGE
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