Ja heißt Ja? -Die eheliche Pflicht und Einwilligung im Wandel, Frankreich vs. Deutschland
- ELAGE
- 28. März
- 3 Min. Lesezeit

Die Begrifflichkeit der Zustimmung oder Einwilligung ("consentement") spielt im Sexualstrafrecht eine zentrale Rolle, insbesondere in Fällen von Vergewaltigung und sexueller Nötigung.
Während Frankreich und Deutschland in den letzten Jahrzehnten weitreichende Reformen zur Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung vorgenommen haben, bestehen weiterhin Unterschiede in der rechtlichen Behandlung der Zustimmung / Einwilligung und sexuellen Pflichten innerhalb der Ehe.
Einführung:
In beiden Ländern ist die Einwilligung eine zentrale Voraussetzung für legale sexuelle Handlungen. In Frankreich wurde mit der Reform von 2021 die "majorité sexuelle" festgelegt, die das Mindestalter für einvernehmliche sexuelle Handlungen auf 15 Jahre festlegt[1]. Darüber hinaus wurde die Einwilligung als entscheidendes Kriterium für die Strafbarkeit von Sexualdelikten verankert. Trotzdem bleibt der Begriff "devoir conjugal" (eheliche Pflicht) in Frankreich bestehen, auch wenn er rechtlich nicht mehr durchsetzbar ist.
In Deutschland wurde mit der Reform des § 177 StGB[2] im Jahr 2016 das "Nein heißt Nein"-Prinzip eingeführt, wodurch eine Vergewaltigung nicht mehr zwingend körperlichen Widerstand des Opfers voraussetzt. Jede sexuelle Handlung ohne freiwillige Zustimmung ist strafbar.
Frankreich
Historisch gesehen betrachtete die französische Rechtsprechung das "devoir conjugal" als eine Pflicht in der Ehe, die eine Verweigerung sexueller Beziehungen als Vertragsverletzung werten konnte. Erst durch das Gesetz vom 4. April 2006 (Loi n° 2006-399[3]) wurde im Code Pénal klargestellt, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist, unabhängig von der Art der Beziehung zwischen Täter und Opfer[4].
Ein wichtiges Urteil des EGMR stellte fest, dass das Bestehen auf der ehelichen Pflicht eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention[5] darstellt, der das Recht auf Privatleben und individuelle Autonomie schützt. Das Gericht reagierte damit auf ein Urteil aufsehenerregendes Urteil eines frz Berufungsgerichts aus dem Jahr 2019, in dem die eheliche Pflicht zum Geschlechtsverkehr zwischen Eheleuten aufrechterhalten wurde und der sich dazu verweigernden Ehefrau die Schuld an der Scheidung zugesprochen wurden.
Deutschland
Seit dem 4. Juli 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland strafbar[6]. Bis dahin galt der Tatbestand nur für äußeren Ehebeischlaf. Vor der Reform konnten sich Ehepartner lediglich wegen Nötigung (§ 240 StGB[7]) oder Körperverletzung strafbar machen, was mit einem geringeren Strafrahmen einherging. Der Bundestag beschloss die Änderung nach jahrelangen Debatten, in denen konservative Stimmen argumentierten, dass der Staat nicht in die Ehe eingreifen solle. Mit der Einführung des "Nein heißt Nein"-Prinzips im Jahr 2016[8] wurde die sexuelle Selbstbestimmung weiter gestärkt. Trotzdem bleibt ein Großteil der sexualisierten Gewalt in Ehen unangezeigt.
In Deutschland liegt das Schutzalter bei 14 Jahren, mit Ausnahmen bei Abhängigkeitsverhältnissen bis 18 Jahre. Frankreich hat eine absolute Schutzaltersgrenze von 15 Jahren eingeführt. Dennoch existiert in Frankreich die sogenannte "clause Roméo et Juliette", die es Jugendlichen erlaubt, einvernehmliche sexuelle Beziehungen zu führen, wenn der Altersunterschied nicht mehr als fünf Jahre beträgt. Dies wurde jedoch auch kritisiert, da es jungen Vergewaltigern die Möglichkeit geben kann, eine Beweislastumkehr zu fordern, indem das Opfer nachweisen muss, dass es nicht eingewilligt hat.
Die Europäische Kommission strebt eine EU-weite Harmonisierung der Definition von Vergewaltigung an, basierend auf dem "Ja heißt Ja"-Prinzip, das besagt, dass eine sexuelle Handlung nur dann erlaubt ist, wenn eine ausdrückliche Zustimmung vorliegt. Frankreich und Deutschland entschieden sich jedoch 2023 gegen diese Definition[9]. Kritiker befürchten, dass eine solche Regelung zu Beweisproblemen in Strafverfahren führen könnte.
Auch Emmanuel Macron plant derzeit, den Begriff der Zustimmung explizit im Strafgesetzbuch zu verankern, um weitere Klarheit zu schaffen.
Die geplante Gesetzesänderung zur Einführung einer zustimmungsbasierten Vergewaltigungsdefinition stößt in Frankreich auf Kritik. Einige Feministinnen und Juristinnen befürchten, dass Gerichte verstärkt das Verhalten des Opfers hinterfragen, um Zustimmung festzustellen, und dass Machtungleichgewichte oder emotionale Manipulation unzureichend berücksichtigt werden. Befürworter hingegen argumentieren, dass die Reform helfen würde, Vergewaltigungen auch ohne physischen Zwang klarer zu erfassen. Die Debatte verdeutlicht die Schwierigkeit, eine Gesetzgebung zu schaffen, die sowohl den Schutz der Opfer stärkt als auch eine faire Beweisführung gewährleistet[10].
Deutschland und Frankreich haben in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der Stärkung der sexuellen Selbstbestimmung gemacht. Während Deutschland durch das "Nein heißt Nein"-Prinzip ein klares Signal für die Bedeutung des Einvernehmens gesetzt hat, bleibt in Frankreich der Begriff des "devoir conjugal" weiterhin ein juristisch und gesellschaftlich umstrittenes Konzept.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil 2025, welches sich auf ein Urteil der Cour d’appel von Versailles vom 7. November 2019 bezog, erneut klargestellt, dass sexuelle Beziehungen in der Ehe ausdrücklich einvernehmlich sein müssen und die Ehe keine automatische Zustimmung impliziert.[11]
Die Debatte um das "Ja heißt Ja"-Prinzip zeigt, dass die Rechtsentwicklung nicht abgeschlossen ist. Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um die sexuelle Selbstbestimmung weiter zu stärken und Betroffene besser zu schützen.
Helin Lara Mede, Studentin der Rechtswissenschaften (Universität Münster/Lyon)
Praktikantin im Cabinet ELAGE / März 2025
Foto von Max Burchill auf Unsplash
[6] https://www.bundestag.de/resource/blob/407124/6893b73fe226537fa85e9ccce444dc95/wd-7-307-07-pdf-data.pdf
[9] https://netzpolitik.org/2023/richtlinie-zu-gewalt-gegen-frauen-warum-deutschland-kein-eu-gesetz-gegen-vergewaltigung-will/?utm_source=chatgpt.com
[10] https://www.lemonde.fr/idees/article/2024/10/14/introduire-le-consentement-dans-la-definition-du-viol-piege-ou-avancee_6351483_3232.html?utm_source=chatgpt.com
[11] https://hudoc.echr.coe.int/fre#{%22itemid%22:[%22001-240199%22]},Urteil vom 23.01.2025, 13805/2.
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